Seit mehr als 30 Jahren im Bremer Viertel beheimatet: Als Fußball-Kneipe hat das „Eisen“ Kultstatus erreicht, spätestens seit der Corona-Pandemie sogar bundesweit. Denn Besitzer Fernando Guerrero ist jemand, der sich meinungsstark öffentlich einbringt.
Wer ins „Eisen“ im Bremer Viertel geht, sieht an der rechten Wand einträchtig nebeneinander ein altes Werder-Trikot und eines vom FC St. Pauli hängen. Etwas versteckt in der Ecke links vom Eingang schaut Ex-Werder-Trainer Thomas Schaaf von der Wand. Neben ihm abgebildet: der DFB-Pokal. Hinter Schaafs Kopf prangt die Meisterschale als Heiligenschein. Das Double aus Deutscher Meisterschaft und DFB-Pokalsieg ist in die Vereinsgeschichte des SV Werder Bremen eingegangen – und im „Eisen“ als eine Art Schrein bildlich festgehalten. Darüber hängt der Fernseher, auf dem die Gäste vor allem die Spiele vom SV Werder Bremen und FC St. Pauli live verfolgen können. Eine riesige Leinwand sucht man in der Kneipe vergebens. Die große Inszenierung, das Marktschreierische – das liegt den Inhabern Benno Patzer und Fernando Guerrero nicht.
Fans tauschen sich im „Eisen“ nach emotionalen Spielen aus
Ihnen geht es vielmehr um Authentizität. Die Süddeutsche Zeitung schrieb über das „Eisen“: „Fußball ist hier Teil der Subkultur, der Zugang zum Spiel ist ein emotionaler, kein erfolgsorientierter und schon gar kein kommerzieller.“ Und das ist auch einer der Gründe, warum das „Eisen“, das vor mehr als 30 Jahren eröffnet wurde, inzwischen so etwas wie einen Kultstatus erreicht hat. Guerrero und Patzer ist es wichtig, dass sich Fußballfans hier wohl fühlen – egal welcher Schal auf der Schulter liegt. „Wir gehen respektvoll mit Fans von anderen Vereinen um“, sagt Fernando Guerrero. „Uns verbindet die Liebe zum Fußball.“
Wer sich im Weser-Stadion ein Spiel angeschaut hat, kommt auf dem Rückweg gern vorbei. Schließlich ist es vom Stadion nicht weit bis zur Sielwallkreuzung – oder Eck, wie die Bremer sagen. „Nach einem emotionalen Spiel kann man als Fan nicht einfach so wieder in den Alltag zurückkehren“, sagt Guerrero. „Bei uns kann man mit Gleichgesinnten Freude ausleben und Frust verarbeiten.“ Das trifft auf seine Gäste genauso zu wie auf ihn selbst. Der 58-Jährige ist – das versteht sich von selbst – leidenschaftlicher Anhänger vom SV Werder und vom FC St. Pauli.
„Die Kneipe als sozialer Raum„
Das „Eisen“ ist für Guerrero mehr als eine Kneipe, es soll auch abseits des Fußballs ein offener, sozialer und toleranter Raum sein. „Für mich sind es die glücklichsten Momente, wenn ein Gast sagt: Ich kannte niemanden, als ich gekommen bin, und bin sofort mit jemanden ins Gespräch gekommen.“ Manchmal säßen an der Theke die Kinder von Eltern, die einst selbst Stammgast waren. Der Inhaber findet es besonders schön, wenn die Gäste generationenübergreifend ins Gespräch kommen. „Sie stellen dann fest, dass sie denselben Fußballverein mögen oder den gleichen Liebeskummer haben. Der einzige Unterschied zwischen ihnen ist der Kalendarische, und der ist total irrelevant.“
Mitmach-Abende fördern die Gemeinschaft‚
Um die Verbundenheit unter den Gästen zu fördern, werden auch Mitmachabende angeboten. Dann werden „Electro-Bingo“, ein Quiz namens „KlugschEISEN“ oder „Take it or Break it“ gespielt. Bei letzterem können die Gäste auf Schallplatten Geld bieten. Bleibt ein Gebot aus, wird das Vinyl nach Abspielen eines Liedes zerbrochen. Das passiert aber immer seltener: „Alle bieten sich um Kopf und Kragen“, sagt der Wirt. Die Gewinne werden für einen guten Zweck gespendet. All das mache die Gaststätte aus: „Es gibt nicht ein Eisen, es gibt viele Eisen. Bei einem Werder-Heimspiel herrscht eine ganz andere Atmosphäre als bei ‚Take it or Break it‘.“
Und dann ist da noch die Sache mit dem Schiffsausflug auf der Weser. „Das machen wir seit 2009 einmal im Jahr“, sagt Guerrero. 2009 gab es keine Europameisterschaft und keine Weltmeisterschaft. Trotzdem sollten sich die Gäste sehen, die zu solchen Ereignissen in die Kneipe kommen. Also wurde ein Ausflugsschiff für 400 Menschen angemietet. „Wir haben viel gelacht und getanzt, und alle fanden es so klasse, dass wir aus er Nummer nicht mehr rausgekommen sind.“
Bundesweite Bekanntschaft durch Soziale Medien
Während der Corona-Pandemie fielen nicht nur die die Schiffstouren aus, die Kneipe war zeitweise ganz dicht, so wie die komplette Gastronomie. Guerrero verlegte den sozialen Raum in die Sozialen Medien, drehte kleine Videos aus dem Eisen, veröffentlichte seine Meinung zu unterschiedlichen Themen. „Der virtuelle Tresen ist nicht grundsätzlich was anderes als der reale Tresen“, sagt er. Was er zu sagen hatte, wurde dadurch aber nicht nur im „Eisen“ gehört, sondern bundesweit. Seit Corona ist Fernando Guerrero in den Medien präsent, er war so etwas wie ein Sprachrohr der corona-gebeutelten Gastronomen. Und als er später gegen die Bezahlpraktiken der Pay-TV-Fußballsender oder gegen das Münchner Oktoberfest und seine Bierpreise wetterte, fand das ein großes Echo in den traditionellen Medien und den sozialen Netzwerken. Auf X, vormals Twitter, folgen dem Wirt inzwischen mehr als 9000 Nutzerinnen und Nutzer.
Seit 20 Jahren führen Guerrero und Patzer das Eisen. Gearbeitet haben beide dort schon vorher. Als Student fing Guerrero hinter dem Tresen an, Bier zu zapfen und den legendären Schnaps „Krabeldiwandenuff“ auszuschenken, von dem nur Hartgesottene mehr als einen schaffen. Als dann die Vorbesitzerin aufhören wollte, stand er vor der Frage: als Geowissenschaftler arbeiten oder die Kneipe übernehmen? Er entschied sich für letzteres. „Das bin mehr ich“, sagt er. In der Kneipe kann er nicht nur seine Leidenschaft Fußball ausleben, sondern noch eine weitere: die Musik.
Thees Uhlmann trat schon mehrfach auf
Regelmäßig finden in der Eckkneipe Konzerte statt. „Wir geben kleinen, unbekannten Bands die Möglichkeit zu spielen.“ Viele der Mitarbeitenden seien selbst Musikerinnen oder Musiker. Aber auch bekannte Namen standen hier schon auf der Minibühne: Thees Uhlmann spielte 1997 mit seiner damaligen Band Tomte, dann kam er noch zwei Mal allein. Ein weiterer Auftritt könnte bald folgen. „Er hat es zumindest versprochen“, sagt Guerrero. Und auch wenn es nicht wichtig ist, Thees Uhlmann liebt zumindest einen der beiden Vereine, den auch Guerrero verehrt: den FC St. Pauli. Die Werder-Fans unter den Gästen werden es ihm nicht übelnehmen.
Text: Janet Binder Fotos: Jens Lehmkühler