Was ist Kultur? Das sind wir alle…

Kultur – das ist malen, schreiben, lesen, musizieren, filmen, aber auch erkunden, entdecken und erklären, auf der Bühne stehen und ein breites Publikum begeistern. Kultur kann bedeuten, im stillen Kämmerlein an einem Projekt zu ‚puzzeln’ und gleichzeitig ein großer Ausdruck unserer Zivilisation sein.

Von MAREN-BRITT DAHLKE

Es gibt die intellektuelle Hochkultur, die alltägliche Alltagskultur und die Leitkultur. Die Sitte bei Tisch heisst Esskultur, die manchmal auch zur Streitkultur ausartet. Es gibt Popkultur, Subkultur und Unkultur. Es gibt die Kulturwissenschaft und die Kulturgeschichte. Kultur: Das ist ein weitgedehntes Panorama und weit mehr als eine einzelne, individuelle künstlerische Meisterleistung. Kultur ist ein Sammelbegriff unserer Zivilisation, denn es lassen sich sowohl Kunst, Musik und Schauspiel in all ihren Facetten darunter einordnen als auch Alltagsbegrifflichkeiten und bahnbrechende Neuerungen. Ohne Kultur säßen wir heute vielleicht immer noch auf den Bäumen und würden mit Faustkeilen auf die Jagd gehen.

„Cultura“ ist der lateinische Wortstamm und bedeutet direkt übersetzt: „Bearbeitung, Bebauung; geistige Pflege“, lateinisch „colere“ heißt „bebauen, bearbeiten, geistig pflegen, veredeln“. Gemeint ist die „Gesamtheit der geistigen und künstlerischen Errungenschaften einer Gesellschaft.“ Also geht Kultur uns alle etwas an, weil wir – strenggenommen – alle Kulturschaffende sind! Nämlich jeden Tag auf’s neue, ohne dass wir womöglich davon etwas bewusst mitbekommen.

Bremer Kultur

Einige unter uns sind allerdings so begabt, dass sie sich künstlerisch exponieren (müssen); manche sagen auch: einen ‚Schaffensdrang’ haben. Bei Erfolg führt das zum Beruf, zur ‚Profession’, von dem man mehr oder weniger gut leben kann. ‚Brotlose Kunst’ beschreibt den Misserfolg eines Künstlers.

Beispiele gefällig? Jährlich verlassen etliche Bremer Meisterschüler die Hochschule für Künste: Elke Graalfs war eine von ihnen. Sie verfügt zwar nicht über das Bankkonto eines Kunst-Stars wie Neo Rauch, wohl aber über Renommee in der Kunstszene. Doch das ist Kunst, und die ist eben nur ein Teilaspekt der Kultur. Sternekoch Heiko Schulz, der im La Terrasse im Park Hotel kocht, dürfte für seine Küchenkunst bekannt sein. Und Bremens Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz dafür, wenn sie Kultur als solches – nämlich als hohes freiheitliches Gut  – gegen den Rotstift verteidigt. Das nennt man dann Streitkultur. Laut Radio Bremen beträgt der jährliche Bremer Kulturetat rund 80 Millionen Euro, davon werden sowohl große Kulturinstitute wie das Übersee Museum und das Bremer Theater mitfinanziert als auch kulturelle Veranstaltungen wie La Strada oder die Breminale. Außerdem werden auch kleinere, unspektakuläre Einrichtungen finanziell unterstützt. Und dann gibt es ja auch kulturelle Traditionen wie das Welt weit bekannte Schaffermahl oder die legendäre Bremer Eiswette – der tapfere Schneider wendet jedes Mal wieder einen Kunstgriff an, wenn er bei diesem Ereignis trockenen Fußes die Weser überquert.

 Für Groß und Klein

Was bei Großen funktioniert, dient den Kleinen als Vorbild: Kultur als Selbstverständlichkeit ansehen und erleben. Was spricht dagegen, mit einer Dreijährigen die Kunsthalle zu besuchen uns sich unverkrampft Bilder angucken? „Mag ich“ oder „mag ich nicht“ – Kinder gehen mit ihrer natürlichen, unvoreingenommenen und erholsam respektlosen Art viel freier mit Kultur um. Ohne vor Ehrfurcht vor den großen Meistern zu erstarren, rennen sie durch die Ausstellung, sie saugen die Atmosphäre auf und merken, hier ist irgendetwas anders. Das bereichert uns alle.

Eine dreistündige Oper hält (natürlich) kein Kind durch, wohl aber ein klassisches Konzert, das draußen stattfindet und jederzeit wieder verlassen werden kann. Oder warum nicht mal Klassik zu Hause hören? Musikpädagoge Marko Simsa hat sich eigens auf die Produktion kindergerechter Klassik spezialisiert und erklärt Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ locker und spannend zugleich. Daheim ein Bettlaken mit Fingerfarben zu bemalen, ist ebenso der Kultur förderlich wie gemeinsames Singen im Auto und das Vorlesen eines Buches.

Kultur beflügelt den Geist, denn wer von klein auf mit kulturellen Errungenschaften in Kontakt kommt, einen aufgeschlossenen Umgang mit Kunst und Kultur lernt und vor allem auch selbst produktiv sein darf, wird ein erfülltes Leben leben. Kultur stärkt die Zugehörigkeit einer Gemeinschaft, Kultur ist ein Teil der eigenen Identität, und Kultur ist sinnstiftend. Das nehmen schon kleine Kinder wahr, die ein feines Gespür für die Dinge haben, die sie umgeben.

 

 Drei Fragen und Antworten rund um die Kultur

1. Was ist Kultur, und warum ist sie so wichtig?

Weil Kultur uns zu dem macht, was wir sind: Traditionen, Bräuche und Religionen, Wohnform, Essgewohnheiten, Kleidungsstil, Sprache und Schrift, Kunst, Musik und Literatur sowie Regeln des menschlichen Zusammenlebens – das alles ist Kultur.
Kultur bildet Identität und schafft Abgrenzung zu dem „Anderen“. Kultur definiert Zugehörigkeit zu einer Gesellschaftsform oder einem Volk. Und sie gestaltet regionale Eigenarten, die an den Lebensraum und klimatische Bedingungen angepasst sind. Unsere Lebensformen verändern sich ständig. Dabei geht Altes verloren und Neues kommt hinzu. Migration und Landflucht führen oft zu kultureller Entwurzelung und regionsspezifisches Wissen geht verloren, Sprachen sterben aus. Kulturelle Vielfalt weicht damit einer zunehmenden Homogenität.

2. Wie kommt die Kultur ins Kind?

„Leere Kinderköpfe mit Wissen zu füllen“ reicht nicht aus, Kinder sollten ihr Potenzial und ihre Kreativität nutzen können. Kinder sind offen für Neues, geradezu gierig auf Neues und an allem interessiert, sie wollen die Welt selber entdecken und erforschen, also aktiv sein. Wer lehrt, sollte das Erleben mit allen Sinnen fördern: anfassen, ausprobieren, hören und spüren. Konkret heißt das, Kühe melken, Farben mischen und herum ‚kleen’ (bremisch für: sich nicht vor Dreck fürchten, im Matsch spielen), sich verkleiden und in eine andere Rolle schlüpfen, Papier schöpfen und selbst Instrumente bauen. – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

3. Wie begeistert man Kulturmuffel?

Kulturmuffel? Die gibt es doch gar nicht! Grundsätzlich wohnt jedem Menschen die Neugier inne, seine Welt zu erforschen und kennenzulernen. Gerade im Hinblick auf fremde Kulturen und Lebensräume können gute Vermittlungsformen bei Kindern und Erwachsenen nachhaltige Interessen wecken. Wichtig ist, dass Zusammenhänge verständlich werden und besonders Kinder nicht nur sehen oder hören, sondern auch „be-greifen“, erleben und verstehen.  Und wichtig ist auch, dass die Angst vor dem Neuen, Unbekannten, ja eventuell Gefährlichen, genommen wird. Stattdessen gilt, Kultur als Bereichung wahrzunehmen – und nicht nur als reinen Kostenfaktor.

Maren-Britt Dahlke