Die Überseeinsel in der Bremer Überseestadt nimmt Gestalt an: Die Rahmenplanung für das neue Stadtquartier ist abgeschlossen, die ersten Mieter haben sich bereits angesiedelt. Im kommenden Jahrzehnt entsteht hier ein Ort zum Leben und Arbeiten: mit viel grün, wenig Autoverkehr und weitgehend CO2-neutraler Energieversorgung. Im Interview spricht Investor Klaus Meier über seine Vision eines nachhaltigen Stadtquartiers ohne zugeparkte Straßen.
Nach Jahrzehnten in der Windbranche haben Sie nun eine neue Aufgabe. Sie sind Chefplaner für ein urbanes Stadtquartier. Wo bekommt man als Planer mehr Gegenwind zu spüren: in der Windbranche oder im Baugeschäft?
KLAUS MEIER (lacht): Stürmischer ist gerade die Windbranche. Das liegt an den aktuell sehr schweren Rahmenbedingungen in Deutschland. Im Baubereich läuft es in Hinblick auf unser Gelände reibungslos. Trotzdem bleibe ich hauptberuflich beim Wind. Die Quartiersentwicklung ist eine Nebentätigkeit.
An den Planungen für die Überseeinsel haben Sie die Bremerinnen und Bremer teilhaben lassen. Es gab Mitmachwerkstätten, Diskussionen und Umfragen. Haben Sie sich diese Form der Bürgerbeteiligung aus der Windbranche abgeschaut?
Ja, daher kenne ich diese Formate. Es ist einfacher Windparkprojekte umzusetzen, wenn man vorher mit den Leuten spricht.
Empfinden Sie Bürgerbeteiligungen also als notwendiges Übel – oder doch eher als Chance?
Als totale Chance. Und zwar auf vielen Ebenen. Wir können testen, was gut ankommt und herausfinden, in welchen Bereichen es andere Ideen gibt. Unser Anspruch ist es, ein Quartier zu entwickeln, in dem die Menschen später gerne leben. Also tauschen wir uns mit denen aus, die hier später mal einziehen oder arbeiten wollen. Und im Hinblick auf die spätere Vermarktung ist es natürlich auch super, wenn das Projekt bekannt ist.
Auf welche neuen Ideen haben die Bremerinnen und Bremer Sie gebracht?
Das Thema Gesundheit war sehr zentral. Deshalb haben wir ein Ärztezentrum eingeplant. Außerdem gibt es eine starke Nachfrage nach Loftwohnungen. Das hat uns auf die Idee gebracht, die alte Kellogg-Produktionshalle komplett umzubauen. Ins Erdgeschoss kommen eine Brauerei, eine Bäckerei und andere Produktionsbetriebe. Darüber wird es Wohnungen mit einer Deckenhöhe von über vier Metern geben.
Das hört sich so an, als würden vor allem Wohnungen im oberen Preissegment entstehen. Stimmt das?
Wir halten uns für das Quartier an die Quote für geförderten Wohnungsbau von 25 Prozent. Und es wird sehr viel Vermietung geben, was eine andere soziale Struktur begünstigt als ein reines Angebot an Eigentumswohnungen. Geplant sind Mietwohnungen für Auszubildende, Studenten, Senioren und Familien, aber natürlich wird es auch Eigentumswohnungen für gut situierte Doppelverdiener geben. Es wird sehr gemischt.
Das Kellogg-Areal hat über Jahrzehnte das Stadtbild geprägt, und die Bremerinnen und Bremer hängen am Anblick des alten Silos und des Firmenschildes. Wie viel des alten Bestands wollen Sie erhalten?
Wir werden einige Gebäude erhalten. Das wichtigste ist das Silo, das wird zum Hotel und Bürogebäude. Das Reislager wird zur Markthalle und das Verwaltungsgebäude eine Schule. Bestandserhaltung ist in der Regel teurer als ein kompletter Neubau. Wir sind aber der Meinung, dass sich durch die Mischung aus neuer und alter Bausubstanz eine schönere Atmosphäre entfaltet.
Setzen Sie auch bei den Wohnhäusern auf einen Mix aus Tradition und Moderne?
Wir orientieren uns am klassischen Bremer Haus. Die Wohnhäuser werden drei bis sechs Geschosse hoch und acht bis zwölf Meter breit sein. Wichtig ist uns, dass wir mit unterschiedlichen Dachformen, Fenstern und Balkonen aus der für Neubauten typischen Uniformität ausbrechen.
Sie planen außerdem eine CO2-neutrale Energieversorgung. Wie soll das funktionieren?
Wir haben nicht das starre Ziel, zu 100 Prozent CO2-neutral zu sein. Wir wollen die Energiesektoren auf der Überseeinsel mit erneuerbarer Energie versorgen, die über funktionierende Speicherlösungen verfügen – das betrifft die Bereiche Wärme und Verkehrsmobilität. Dafür wollen wir Photovoltaikanlagen auf den Dächern installieren und vier bis fünf Windkraftanlagen im Industriehafen nutzen. Damit kommen wir planmäßig auf einen Anteil von 80 bis 85 Prozent Energie aus diesen beiden erneuerbaren Quellen.
Wenn die Dächer mit Photovoltaikanlagen bedeckt sind, wird es wohl keine begrünten Dächer geben?
In den Wohnbereichen sind Dachgärten zum Anbau von Kräutern oder Gemüse angedacht. Der Großteil der Dachflächen wird aber tatsächlich für die Stromproduktion benötigt. Begrünungen wird es geben, aber sie werden nicht stilgebendes Merkmal sein.
Wie schwierig ist es, bei der Quartiersplanung das Gleichgewicht zwischen ökologischen und wirtschaftlichen Zielen zu halten?
Ich glaube, das ist gar kein Widerspruch! Natürlich werden beispielsweise unsere Investitionskosten für das Wärmekonzept viel höher sein, als wenn wir mit Gasthermen oder Fernwärme arbeiten würden. Dafür haben wir später im Betrieb relevante Einsparungen. In der Gesamtschau wird es eine Preisparität geben.
Als erster Mieter hat sich die Gemüsewerft, ein Urban-Gardening-Projekt, auf der Überseeinsel angesiedelt. Wie kam es zu der Entscheidung, über 2.000 Quadratmeter in Toplage an eine sozial-integrative Einrichtung zu vergeben?
Wir haben schon einige Mieter auf der Bestandsfläche. Wir wollen das Gelände auch durch Zwischennutzungen am Leben halten. Die Gemüsewerft ist ein zusätzlicher und bereichernder Baustein! Der ökonomische Wert liegt nicht in den Mieteinnahmen, die sind äußerst gering. Der Wert liegt darin, dass es sinnstiftend ist und Atmosphäre und Leben an diesen Standort bringt.
In Bremen wurde vor einigen Monaten die Wohnbebauung der ehemaligen Rennbahn in der Vahr durch einen Bürgerentscheid gekippt – die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich mehr Grünflächen. Wie grün wird die Überseeinsel werden?
Laut Planung wird ein Drittel der gesamten Überseeinsel aus Grünflächen bestehen. Wie genau wir diese Freiflächen gestalten, steht noch nicht fest. Da in dem Quartier keine Autos fahren, ergeben sich ganz neue Chancen. Die Straßen müssen nicht aus Asphalt bestehen. Die Wege könnten eine Schotterdecke haben, durch die Gras oder Blumen wachsen. Das Quartier könnte also noch grüner werden, als wir es momentan auf den Plänen sehen. Das Großartige ist wirklich, dass wir hier keinen Autoverkehr haben und die Straßen nicht von Fahrzeugen zugeparkt sind. Das war hier früher schon mal ein Wohn- und Arbeitsquartier. Damals waren hier Pferde mit ihren Fuhrwerken unterwegs. Diesen Zustand werden wir ein Stück weit wiederherstellen. Die Pferde holen wir nicht zurück, dafür wird es einen E-Shuttle-Bus geben.
Und wie wollen Sie die Menschen dazu bekommen, auf ihre Autos zu verzichten?
Das müssen sie gar nicht. Es wird Quartiersgaragen geben, wo man die Autos abstellen kann. Wir werden viele Angebote im Bereich Car- und Bikesharing schaffen, und es wird günstiger sein, an diesem System teilzunehmen, als ein eigenes Auto zu haben. Wenn jemand aber lieber den eigenen Diesel oder SUV fahren möchte, dann ist das so. Das muss jeder für sich selbst wissen. Die Bewohner sollen sich nicht nach unseren Vorstellungen richten. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen der Menschen.
Interview: Beata Cece