Nachhaltiges Leben im All oder unter extremen Wüsten-Bedingungen auf der Erde: Blue Horizon, eine Tochter des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB, will die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eines Tages Menschen das All besiedeln können. Um im großen Stil auf Himmelskörpern Pflanzen züchten zu können, ist Wasser erforderlich, das es aber auf dem Mond nicht gibt.
Menschliches Leben auf dem Mars: Bisher nur im Film
Als Astronaut Mark Watney nach einem Unfall der Mars-Mission „Ares III“ allein auf dem roten Planeten zurückbleibt, baut er zum Überleben Kartoffeln in einer Mischung aus menschlichen Exkrementen und Marserde an. Für den Kinohit „Der Marsianer“ mit Matt Damon war das eine dramaturgisch interessante Idee. „Doch in der Realität funktioniert das leider nicht so einfach“, sagt Dr. Klaus Slenzka. Schließlich mangelt es auf dem Mars an Kohlenstoff, der für das Pflanzenwachstum notwendig ist. „Außerdem besteht der Boden nur aus scharfkantigen Metalloxiden, die jedes aufkeimende Leben zerstören würden“, so Slenzka.
„Weltraum-Forschung sollte das Leben auf der Erde verbessern“
Als Leiter des Forschungsbereichs „Life Sciences“ des Bremer Raumfahrtunternehmens OHB System AG arbeitet Slenzka dennoch mit Hochdruck daran, dass der Kinohit dem realen Leben ein kleines Stückchen näherkommt. Weil die angestrebte Lösung auch für unwirtliche Regionen auf der Erde interessant sein wird, hat OHB seine Forschung mit dem jungen Unternehmen Blue Horizon verstärkt – ein Joint Venture der beiden OHB-Tochtertöchter LuxSpace und Venture Capital. „Weltraum-Forschung ist schließlich kein Selbstzweck, sondern sollte auch das Leben auf der Erde verbessern“, ist Slenzka überzeugt.
Forschungsaufgabe statt Science-Fiction
Wie Lebensmittel im All produziert werden können, ist für die Wissenschaft in Bremen längst kein Science-Fiction-Thema mehr, sondern klare Forschungsaufgabe vor einem realen Hintergrund: „Wenn wir langfristig Stationen auf dem Mond unterhalten und später einmal zum Mars fliegen wollen, müssen wir die Menschen mit allem Lebensnotwendigen versorgen“, erläutert Klaus Slenzka. Der Grund ist einleuchtend: „Ein Kilo Fracht zum Mond zu bringen, kostet rund eine Million US-Dollar.“ Seitdem der Mond sowohl für die europäische Weltraumagentur ESA als auch durch die „Orion“-Mission der amerikanischen NASA verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten ist, wird auch das Versorgungsthema zunehmend interessanter. Bremer Wissenschaftler nehmen dabei international eine führende Rolle ein. Beispielsweise erprobt derzeit das Bremer DLR-Institut für Raumfahrtsysteme zusammen mit dem Bremerhavener Alfred-Wegner-Institut in der Antarktis mit dem Experiment „Eden“ ein auf Weltraum-Belange ausgerichtetes Gewächshaus. Das erste Gemüse wurde schon geerntet.
Pionierarbeit mit Original-Bodenproben vom Mond
Für OHB Systems bedurfte es aber nicht erst der internationalen Neuausrichtung der bemannten Raumfahrt, um sich mit lebenserhaltenden Langzeitsystemen im All zu befassen. Bereits zwischen 1998 und 2003 absolvierte das börsennotierte Unternehmen drei erfolgreiche Missionen an Bord eines amerikanischen Space Shuttles. Mit dem Minimodul C.E.B.A.S. erprobte OHB ein geschlossenes, künstliches, sich selbst stabilisierendes aquatisches Ökosystem, in dem verschiedene Wassertiere und -pflanzen mehrere Wochen gehalten werden können. Spätestens seitdem hat Slenzka einen guten Draht zur US-Raumfahrtbehörde NASA, wie er sagt. Dieser verschaffte ihm den Zugang zu einer besonders seltenen Art von Gestein: „Wir konnten mit einer Bodenprobe arbeiten, die Apollo 17 vom Mond mitgebracht hat.“
Kanten der Metalloxid-Kristalle konnten entschärft werden
Mittlerweile setzen Slzenka und sein Team die vor 20 Jahren begonnene Arbeit mit künstlich erzeugtem Mond- und Marsgestein fort – und sie können erste Erfolge vorzeigen. Mit Hilfe von bestimmten Algen konnten die Kanten der Metalloxid-Kristalle entschärft und damit eine erste Voraussetzung für die Nutzung des Planetengesteins als „Pflanzerde“ geschaffen werden. Doch dies ist erst der erste Schritt. Um im großen Stil auf Himmelskörpern Pflanzen züchten zu können, ist Wasser erforderlich, das es aber auf dem Mond nicht gibt. „Sauerstoffverbindungen gibt es im Gestein genügend; aber wir brauchen Wasserstoff“, erläutert Slenzka.
Neues Raumfahrt-Zeitalter beginnt in Bremen
Im bisherigen Selbstverständnis der Weltraumwissenschaft wären solche Themen eine Aufgabe für die Grundlagenforschung. Dass OHB mit Blue Horizon stattdessen ein junges Start-up-Unternehmen mit Sitz in Bremen und Luxemburg gegründet hat, ist dem Zeitalter des „New Space“ geschuldet: Dabei geht es vor allem um die Kommerzialisierung der Raumfahrt. Obwohl OHB mittlerweile zu den großen europäischen Raumfahrtunternehmen zählt, wissen die Bremer um die Bedeutung kleinerer Unternehmen als innovative Impulsgeber. „Dass die Raumfahrt in den USA so viele neue und gute Ideen bekommen hat, ist auch der Bereitschaft vieler Geldgeber zu verdanken, junge Start-ups zu unterstützen“, weiß Slenzka.
Raumfahrt-Technologien für den Einsatz auf der Erde
Natürlich hoffen die Geldgeber in den USA, dass sich ihr finanzielles Engagement in unkonventionelle Firmen auszahlt. Und auch Slenzka und das OHB-Management sind überzeugt davon, dass sich Blue Horizon rentiert. „Die Technologien, die wir für den Weltraum entwickeln, können auch auf der Erde angewendet werden“, betont Slenzka. Die Idee, mit dem Wissen aus dem Weltall Wüsten auf der Erde urbar zu machen, ist inzwischen kein bloßes Gedankenspiel mehr. OHB-Experten tauschen bereits Gedanken mit chinesischen Partnern aus, wie das Wissen aus dem All zum Begrünen der Wüsten in der Mongolei beitragen kann. Für Slenzka wäre das ein Erfolg, der gleichwertig mit dem Schaffen von Lebensbedingungen auf dem Mars ist: „Raumfahrt soll den Menschen auf der Erde nutzen“, betont er.
Text: Wolfgang Heuer Fotos: Frank Pusch
Hinterlasse jetzt einen Kommentar