Phil Porter lädt zur Alltagsflucht in seinen „Salon Obscura“ ein.
Hinter der Tür des Hauses in der Hollerstraße 6 inmitten einer Wohnstraße im Bremer „Viertel“ hört der Alltag auf. Wer eintritt, taucht ein in eine geheimnisvolle Welt der 1920er Jahre mit französischem Flair.
Die Besucherin scheint im Haus zu sein – oder ist sie doch noch draußen? Hinter der Tür verbirgt sich ein Hof mit Baum; welke Blätter fallen zu Boden, das Licht ist dämmrig. Zu hören ist betörende Musik vergangener Zeiten. Ein sinnlicher Duft liegt in der Luft. Am Baum ist ein Fahrrad gelehnt, Bistrotische und Stühle laden zum Verweilen ein. Doch es ist neblig, es blitzt und donnert – lieber schnell in die nächste Tür verschwinden. Willkommen im „Salon Obscura“ des Bremer Künstlers und Fotografen Phil Porter.
„Im Herzen bin ich Schausteller“
Der Hausherr erwartet die Besucherin bereits hinterm Empfangstresen. Der in rotem Licht gehaltene Raum mutet an wie ein Foyer eines Grandhotels zu Beginn des letzten Jahrhunderts, mit Fransen-Lampenschirmen, Grammophon, schwarzem Telefon. Phil Porter ist wie immer perfekt gestylt mit Zweireiher und Einstecktuch. „Haben Sie ein Zimmer reserviert?“, fragt er. Das Spiel kann beginnen.
„Wir treiben Schabernack mit den Leuten“, erzählt das Multitalent. Denn der „Salon Obscura“ ist natürlich kein echtes Hotel, sondern eine skurrile Erlebnisausstellung mit Jahrmarktflair, in der die Besucherinnen und Besucher zum Mitspielen aufgefordert werden. „Im Herzen bin ich Schausteller“, sagt Porter über sich. Die Gäste bekommen einen Schlüssel ausgehändigt und müssen sich auf die Suche nach Zimmer 126 machen. Doch so einfach ist das nicht: Sie erwartet ein Türen-Labyrinth, ein scheinbar abstürzender Fahrstuhl und ein Spiegelkabinett.
Ein Bild an der weißen Wand: viel zu traurig
Ganz nebenbei bekommen die Gäste auf ihrer Zimmersuche eine Wechselausstellung mit über 30 Kunstwerken von Phil Porter zu sehen: Poster von aufwändig inszenierten Fotografien hängen an den üppig dekorierten Wänden im Burlesque-Stil. „Fotografien sind ein wichtiger Baustein, mich auszudrücken.“ Die Art der Präsentation im „Salon Obscura“ begründet er so: „Ein Bild traurig an einer weißen Wand gehängt – da müsste ich weinen.“
Fotomotive haben einen doppelten Boden
Jedes surreal anmutende Motiv der gezeigten Fotografien fordert dazu auf, es genauer zu betrachten. Auf einem Bild ist ein Junge in Leopardenkostüm und mit Banane in der Hand in einer Kiste zu sehen. Wer genauer hinsieht, merkt, dass das Foto nicht so süß ist, wie es auf den ersten Moment scheint: Am Korb hängen Schusswaffen, die Banane wird plötzlich als Revolver empfunden. Auf einem anderen Foto steht ein weiß bemalter Mann mit Augenklappe in rot-weiß gestreiften Papierbahnen. Er scheint nachdenklich einen Finger ans Kinn zu legen – bei intensiverer Betrachtung sieht man, dass es der Mittelfinger ist, der ausgestreckt ist. „So funktioniert meine Arbeit: Immer mit einer Fallhöhe“, sagt Phil Porter, der natürlich nicht wirklich so heißt.
Für seine Foto-Inszenierungen braucht er manchmal ein paar Stunden, manchmal drei Monate. „Das Material für einen vier Meter hohen Plastikturm ist schnell gefunden“, nennt er ein Beispiel. „Aber dann die Konstruktion so zu bauen, dass ein Model darauf klettern kann, das ist herausfordernd.“ Seine Fotos wurden bereits in der „KunstHalle“ Cloppenburg sowie im Cafébereich der Kunsthalle Bremen gezeigt.
Schon als Kind fiel Phil Porter auf
Phil Porter wuchs vor den Toren Bremens in Ritterhude auf. Sein Alter gibt er schon länger mit 29 an. Er erzählt, dass er als Kind anders war als die anderen: eine „Rampensau“ – und eine, die bereits ab der 5. Klasse nur noch Anzüge trug. Mit seiner Andersartigkeit eckte er an und bezog auch Prügel von Gleichaltrigen. Heute kann er darüber lachen. Überhaupt lacht er sehr viel, er trägt die gute Laune vor sich her – obwohl die Corona-Maßnahmen auch ihn zwangen, seinen „Salon Obscura“ für Besucherinnen und Besucher vorübergehend zu schließen.
In der Corona-Zwangspause veröffentlichte er einen Stadtführer
Herausforderungen solcher Art nutzt er, um sich neu zu erfinden: Er bot alternative Stadtführungen durch Bremen an, mit wahren und unwahren Geschichten. Als das wegen verschärfter Corona-Maßnahmen auch nicht mehr ging, veröffentlichte er mit „Rom des Nordens“ einen alternativen Stadtführer mit poetischen Erzählungen zu Sehenswürdigkeiten der Hansestadt. In Kooperation mit dem Feinkostladen Heimathaven plant Porter nun eine Rosen-Marmelade mit Pfeffer herauszubringen: „Rosenkrieg“ soll sie heißen.
Die Rose ist ein wiederkehrendes Motiv bei ihm, nicht nur im „Salon Obscura“, sondern auch an seinem eigenen Körper: Er hat sich eine rote Rose am Hals tätowieren lassen und auch am Oberkörper. An den Armen sind Schulterklappen wie die eines Zirkusdirektor tätowiert. Es ist ein Bild, das nicht besser passen könnte für ihn, den Selbstdarsteller.
Einerseits skurriler Zirkusdirektor – andererseits Unternehmer
Die Neigung sich zu verkleiden, die er bereits als Kind hatte, ist bis heute geblieben: Er schlüpft nicht nur selbst für Fotos in waghalsige Kostüme, sondern auch für den Maskenball „La Rebelión“, den er seit 2019 im Park Hotel Bremen als eine Art Zirkusdirektor inszeniert und moderiert – anfangs für ein paar Dutzend Gäste, inzwischen für 400. Gleichzeitig ist er aber auch Chef eines Unternehmens: Er hat eine Auszubildende, beschäftigt einen festangestellten Mediengestalter und bucht Kreative für seine Aufträge und Aktionen.
Aus einem Dschungel wurde ein Burlesque-Hotel
Zurück zu seinem Lebenslauf: Nach der Schule absolvierte er eine Ausbildung zum Mediengestalter. Anschließend machte er sich als Fotograf in Bremen selbstständig. „Ich habe auf allen Hochzeiten getanzt.“ Das meint er wortwörtlich, Hochzeiten fotografiert er heute noch. Später bezog er das Haus in der Hollerstraße, wo er nicht nur wohnte, sondern auch sein Studio hatte. So weckte er die Neugierde der Nachbarn, wenn er mal wieder ungewöhnliche Waren für seine inszenierten Fotos angeliefert bekam. Eines Tages standen bei ihm für ein Shooting zahlreiche Palmen, die Leute kamen rein und sagten: Das ist ja wie ein Dschungel. „Da hat es ‚klick‘ gemacht“, erzählt Porter. Er baute tatsächlich einen Dschungel auf, mit Wasserfall und allem Drum und Dran. Inszenierung liegt ihm ja. Die erste Ausstellung war geboren.
Suchend, schnell entflammbar, leidenschaftlich
Als die Ausstellungsfläche immer größer wurde und kein Platz mehr zum Wohnen blieb, zog er in die Altstadt. „Ich liebe es, in der Altstadt zu sitzen, Leute zu beobachten und Geschichten zu schreiben.“ Phil Porter beschreibt sich selbst als neugierig, suchend, schnell entflammbar, leidenschaftlich – und durchaus melancholisch. „Viele sagen, ich bin ein Plappermaul. Aber ich bin auch ein guter Zuhörer.“ Im letzten Jahr baute er seine Ausstellung um und eröffnete „Salon Obscura“ im opulenten Hotelstil, in denen die Besucherinnen und Besucher Täuschungen erlegen sein können oder auch nicht. „Kein Besuch ist wie der andere“, verspricht Porter. Nicht nur er oder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schlüpfen in eine Rolle, sondern auch die Gäste. „Wir beflügeln die Phantasie.“ Sein Ziel ist es, Menschen für das Unbekannte zu begeistern.
Text: Janet Binder
Fotos: Jörg Sarbach
UPDATE: Phil Porter ist ab April 2022 in Bremens ältestem Stadtteil, dem Schnoor-Viertel zu finden.