Revolution im Deichschutz

Mit Wasser gegen Hochwasser

Üblicherweise werden bei Hochwasser für den Deichschutz Sandsäcke benutzt. Eine Bremer Professorin hat eine Alternative erfunden: Spezialkissen, gefüllt ausgerechnet mit dem, was reichlich vorhanden ist – Wasser. Die Idee ist so simpel wie revolutionär. Eine Auszeichnung gab es dafür auch schon.
Mit Wasser gegen Hochwasser: Für ihre Deichverteidigungssysteme hat die auf Wasserbau spezialisierte Ingenieurin Bärbel Koppe 2014 den Möbius Förderpreis für Innovation erhalten. (Foto: Manfred W. Jürgens)
Mit Wasser gegen Hochwasser: Für ihre Deichverteidigungssysteme hat die auf Wasserbau spezialisierte Ingenieurin Bärbel Koppe 2014 den Möbius Förderpreis für Innovation erhalten. (Foto: Manfred W. Jürgens)

Wenn die Flusspegel bedrohlich ansteigen und die Deiche deshalb porös und instabil werden, kommen sie massenweise zum Einsatz: Sandsäcke. Mit ihrer Hilfe werden durchbruchgefährdete Deichabschnitte gesichert. Benötigt werden dafür nicht nur Säcke und Sand, sondern auch viele helfende Hände. „Das muss auch einfacher gehen“, dachte sich die auf Wasserbau spezialisierte Ingenieurin Bärbel Koppe. Warum füllt man Säcke mit Sand, der extra gekauft, angeliefert und per Hand geschaufelt werden muss? Warum nimmt man nicht das, was im Überfluss im Hochwassergebiet vorhanden ist, nämlich Wasser? „Weil es so simpel ist, funktioniert es auch“, weiß Bärbel Koppe inzwischen aus Erfahrung. Den ersten Einsatz hatten von ihr entwickelte Schläuche mit dem Namen „Flutschutz“ beim Elbehochwasser 2013.

Die Idee zu der Konstruktion hatte sie, als Deutschland im Sommer 2002 im Elbegebiet eine der größten Flutkatastrophen erlebte. Mit extremen Pegelständen kannte sich Bärbel Koppe bestens aus: Sie hatte 1997 das Oderhochwasser in Brandenburg als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Rostock sechs Wochen lang dokumentiert, ihre Dissertation über den Hochwasserschutz an der deutschen Ostseeküste geschrieben und lehrte inzwischen am Rostocker Institut für Wasserbau.

33 Millionen Sandsäcke im Einsatz

Nun sah sie wieder kilometerlange Reihen aus geschichteten Sandsäcken. 33 Millionen Sandsäcke wurden damals nach Angaben des Technischen Hilfswerks (THW) verbaut. „Sandsäcke sind toll“, betont Bärbel Koppe, die seit 2012 eine Professur für Wasserbau an der Hochschule Bremen hat. Denn sie seien flexibel einsetzbar. „Das Problem dabei ist, dass man sehr viele Leute dafür braucht.“ Allein das THW hatte beim Elbehochwasser sechs Wochen lang 24.000 Helfer vor Ort. Eine kostspielige Angelegenheit: Auch wenn die meisten ehrenamtlich im Einsatzgebiet sind, muss ihr Verdienstausfall dem Arbeitgeber erstattet werden. „Und die Leute müssen untergebracht und verpflegt werden“, sagt Bärbel Koppe.

Doch das ist nicht das einzige Problem: Künftig werde es immer schwieriger, genügend Helfer zusammen zu bekommen, sagt Geert Lehmann, Dozent an der THW-Bundesschule in Hoya, wo Deichverteidigungssysteme praktisch geübt werden. Denn nicht nur das THW verzeichnet wegen des demografischen Wandels und des Wegfalls der Wehrpflicht einen gravierenden Mitgliederschwund. „Das gilt auch für das Deutsche Rote Kreuz und die Freiwilligen Feuerwehren“, sagt Lehmann. „Man sucht deshalb schon seit Jahrzehnten nach Alternativen zu den Sandsäcken.“

Patente angemeldet

Der Auflastfilter ist ein patentiertes und prämiertes Deichschutzsystem. Das 3,5 mal 7 Meter mit Wasser gefüllte Spezialkissen ersetzt 600 bis 700 Sandsäcke und viele helfende Hände. (Foto: Bärbel Koppe / AQUADOT)
Der Auflastfilter ist ein patentiertes und prämiertes Deichschutzsystem. Das 3,5 mal 7 Meter mit Wasser gefüllte Spezialkissen ersetzt 600 bis 700 Sandsäcke und viele helfende Hände. (Foto: Bärbel Koppe / AQUADOT)

Was also, wenn man statt der vielen kleinen und schweren Säcke große, aber trotzdem leichte Konstruktionen aus Lkw-Plane nimmt und sie erst vor Ort mit wenigen Leuten mit Flutwasser füllt? Mit Unterstützung ihres damaligen Arbeitgebers, der Uni Rostock, meldete Koppe Patente an, die 2007 auch erteilt wurden. „Es hat dann noch gedauert, bis wir zwei Firmen gefunden haben, die das Ganze auch bauen konnten“, erinnert sie sich. Hilfreich war, dass das Bundeswirtschaftsministerium das Forschungsprojekt unterstützte. Bärbel Koppe gründete eine eigene Firma und holte weitere Experten mit ins Boot. Ende 2012 erhielt sie für drei Konstruktionen die TÜV-Plakette: Für die sogenannte Schlauchkade, den Auflastfilter und den Doppelkammerschlauch. Alle drei Systeme werden bei unterschiedlichen Problemen am Deich eingesetzt.

Die Schlauchkade könnte man noch am ehesten mit einem großen Planschbecken vergleichen – nur ohne Boden. Sie wird dann genutzt, wenn Gefahr besteht, dass am Deich punktuell Wasser austritt und Sand ausgespült wird. Rund um die Stelle, aus der das Sickerwasser ausläuft, wird die Schlauchkade gelegt und mithilfe von Motorpumpen mit Hochwasser gefüllt. In der Mitte – dort wo beim Planschbecken der Boden wäre – sammelt sich das austretende Sickerwasser. „Dadurch wird Gegendruck erzeugt“, erklärt Bärbel Koppe. Die Schlauchkade wirkt wie ein Propfen; damit ist die Strömung keine Gefahr mehr. Mit Sandsäcken erreicht man denselben Effekt – nur dauert der Aufbau sehr viel länger. Bis zu 1.000 Sandsäcke müssten einzeln kreisförmig um die undichte Stelle gestapelt werden.

Der Auflastfilter, eine Art riesiges, mit Wasser gefülltes Kissen, wird indes an den Fuß eines schadhaften Deiches gelegt, damit dieser nicht aufschwemmt. „Bis ein vergleichbar großer Bereich mit Sandsäcken ausgelegt ist, braucht man viel mehr Zeit. Der Deich kann dann im schlimmsten Fall schon brechen“, sagt die Professorin. Ein einziger Auflastfilter von 3,5 Meter mal 7 Meter Fläche, der von zwei Menschen aufgebaut werden kann, ersetzt ihren Angaben zufolge 600 bis 700 Sandsäcke und viele helfende Hände. Für beide Systeme wurde Bärbel Koppe 2014 mit dem Möbius Förderpreis für Innovation ausgezeichnet.

Systeme nach Thailand verkauft

Die von Bärbel Koppe und ihrem „Flutschutz“-Team entwickelten Doppelkammerschläuche haben zwar noch keinen Preis gewonnen, wurden aber bereits von der Bangkoker Stadtverwaltung angekauft. Die Konstruktion soll die traditionellen Sandsackdämme ersetzen, die im Notfall in einem Überflutungsgebiet ohne Deiche als Schutzlinie fungieren. „Bangkok hat in einem ersten Ausbauschritt 200 Meter Doppelkammerschläuche gekauft“, freut sich Bärbel Koppe. Sie hofft dadurch, auch hierzulande bald Interessenten zu finden. „Es ist schwierig, die Konstruktion in Deutschland auf den Markt zu bringen.“

Das gilt auch für die beiden anderen Systeme, obwohl sie sich nach Angaben von THW-Dozent Geert Lehmann in der Praxis bewährt haben. Für den Einkauf von Deichschutzmaterial sind die Kommunen und kreisfreien Städte zuständig. Diese schreckten vor den hohen Anschaffungskosten der Schläuche zurück. „Wenn man aber die Kosten für den Transport und das Personal dazu rechnet, sind die Sandsäcke teurer“, betont Koppe. Nach der ersten Verwendung der Schläuche amortisierten sich die Kosten.

Schneller Abbau

Noch ein anderer Umstand spricht nach Auffassung von Geert Lehmann für die Schlauchvarianten: Sobald das Hochwasser abzieht, wird der Katastrophenfall für beendet erklärt. Die Helfer werden wieder abgezogen. Noch vor Ort sind aber die vielen Sandsäcke, die zum Teil als Sondermüll entsorgt werden müssen. Die Schlauchsysteme wären schneller wieder abgebaut. „Sie müssen nur abgelassen und zusammengerollt werden“, sagt Bärbel Koppe.

Lehmann setzt darauf, dass die Kommunen gezwungen sind, bald zu handeln, weil inzwischen die EU Druck mache und ein Hochwasserrisikomanagement von ihnen verlange. Ganz auf Sandsäcke kann der Katastrophenschutz seiner Erfahrung nach allerdings auch künftig nicht verzichten. „Es werden auch vorbeugend Deiche gesichert, wenn das Hochwasser noch gar nicht in Sicht ist“, sagt Geert Lehmann. Dann könne kein Wasser in die Schläuche gepumpt werden. Er wünscht sich deshalb eine Kombination aus Sandsäcken und Ersatzsystemen.

Derweil hat Bärbel Koppe schon neue Ideen. Sie fragte sich, ob es nicht auch möglich sei, auf der Hochwasserseite Planen auf die Deiche zu legen. „So könnte man das Übel direkt an der Wurzel packen“, sagt Bärbel Koppe. Verschiedene Konstruktionen sollen ab diesem Jahr an einem Testdeich bei der THW-Bundesschule in Hoya erprobt werden.

Autorin: Janet Binder

Mehr Informationen: www.flutschutz.org

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