Ein Platz für Volker Ernsting

Erinnerung an Bremer Legenden

Volker Ernstings wohl bekanntestes Bild: das Ehepaar Sengstake auf dem Bremer Freimarkt.

Im Rahmen des Festivals Maritim 2023 in Bremen-Vegesack, mittlerweile in seiner sechsten Ausgabe, wird ein legendärer Mitbürger dieses Bremer Stadtteils mit der Taufe eines zentralen Platzes, der bisher noch namenlos war, geehrt. Der Volker-Ernsting-Platz am nördlichen Kai des Museumshavens Vegesack wird damit an den im Sommer 2022 verstorbenen in Bremen und über die Stadtgrenzen hinaus bekannten und populären Karikaturisten und Cartoonisten Volker Ernsting erinnern.

Volker Ernsting wurde am 4. Mai 1941 in Bremen-Vegesack geboren. Auf lokaler Ebene hat er sich fast unsterblich gemacht mit den Figuren der Familie Sengstake. Es gibt diesen Namen tatsächlich; im letztmalig 1980 im Druck erschienenen Bremer Adressbuch tauchen gut 50 Haushalte mit diesem Familiennamen auf. Herr Sengstake mit der weithin bekannten Bratwurst von Stockhinger oder Kiefert am Liebfrauenkirchhof, den Arm um die Schulter seiner Gattin gelegt, diese ihrerseits in der Hand einen Halbliterkrug mit Haake-Beck-Bier und dem Logo des Bremer Schüssels, dieser wiederum entworfen von dem Bremer Künstler Ernst Matzke (*1937 in Hamburg). Sie bilden ein dermaßen typisches Bremer Paar, dass ein anderer berühmter Bremer Kartoonist, Til Mette, den Ernsting-Figuren und seinem Schöpfer im Jahre 2000 attestierte: „Er hat im Gegensatz zu mir den Bogen raus, wie man den Bremer und die Bremerin karikiert“.

Auch die Sengstakes lassen es sich nicht nehmen, zu der Taufe am 5. August 2023 in Vegesack einzuladen. Der Taufakt wird von der Familie des Künstlers gestaltet und wird am Samstag, den 5. August 2023 um 19:45 h stattfinden.


Dem kann allerdings energisch widersprochen werden, denn nach nunmehr weiteren guten 20 Jahren kann kaum jemand beispielsweise den rot-grün-roten Bremer Senat und seine Protagonisten und Protagonistinnen detailgenauer karikieren als Til Mette. Tils Kollege und Freund Ernsting hätten sie zweifellos auch gefallen.


Abgesehen davon sind Ernstings Karikaturen auf den Tïtelblättern der HÖR ZU noch vielen in Erinnerung oder die Spieler des bundesdeutschen Kaders der Fußball-WM von 1974. Von manch einem dieser „Porträtierten“ hieß es, sie seien „not very amused“ gewesen…


Zu seinem künstlerischem Schaffen gehören ebenso die unvergessenen Bestseller wie „Was’n in Bremen so sacht“, „Was’n in Bremen so ißt“, mit den Texten von Walter A. Kreye (1911-1991) und seine Version von „Die Bremer Stadtmusikanten“, die sich bei Ernsting sogar in durcheinandergewürfelter Ordnung aufstellen konnten, der Esel on the top of the quartet, neben der deutschsprachigen Ausgabe in weiteren Sprachen erschienen, von Chinesisch über Spanisch oder Italienisch bis Japanisch und vielen mehr. Leider sind nahezu alle diese Buchausgaben heute vergriffen.


Jedenfalls verdankt Bremen ihrem Sohn Ernsting sehr viel. Umso enttäuschender war es seinerzeit, wie wenig Worte, wenn überhaupt welche, man anlässlich seines Todes seitens der Administrationen der Stadt und des Landes Bremen verlor. Das wird nun mit der Schaffung des Volker- Ernstings-Platzes wiedergutgemacht.


Das Schicksal hat es nicht nur gut gemeint mit dem Künstler mit mächtigem Schalk im Nacken und mit seiner spitzen, dennoch nie kränkenden Feder. Volker Ernsting litt seit langen Jahren vor seinem Tod, seit Mitte der 90er Jahre, an einer schweren Nervenerkrankung und gegen Ende seines Lebens war er fast erblindet, so dass es ihm bedrückend, endlos scheinende Zeit verwehrt war, sich mit seinen künstlerischen Mitteln zu artikulieren.

Für mich persönlich war das alles Motivation genug, mich mit einer Eingabe an den Vegesacker Ortsteilbeirat, also an das Stadtteilparlament dieses Bremer Stadtteils, in dem ich seit 2015 auch lebe, und seine Fraktionen (außer den dort sitzenden rechtsradikalen Parteiangehörigen) zu wenden. Nach dem notwendigen Einverständnis von Ernstings Witwe und seiner Familie hat das Parlament am Ende dann auch einstimmig beschlossen, den attraktiven Platz am Kai des historischen Museumshavens Vegesack nach dem lokalen Künstler zu benennen.


Leider ist der umfangreiche Werkkatalog, der aus dem Anlass einer Volker-Ernsting- Werkausstellung im Jahre 2000 im Vegesacker Kulturzentrum KITO erschienen war, schon lange vergriffen. Wie schön (und angebracht!) wäre es, wenn sich jemand traute, diesen Katalog neu herauszugeben – oder sogar eine neue Ausstellung mit seinem Oeuvre auf die Beine zu stellen.
Und wie würde das Ernsting selbst erfreuen, trotz der Bescheidenheit, die man dem Künstler von allen Seiten nachsagt.

Text: Guenter G. Rodewald, Literaturagent & Blogger, Bremen. Mehr hier.