Alle vier Party-Zelte auf dem Bremer Freimarkt werden von Frauen geführt. Bayernzelt, Hansezelt, Almhütte und Riverboat sind die Anlaufpunkte für feierfreudige Besucher des Bremer Freimarkts. Das Besondere an den Party-Zelten auf einem der ältesten Volksfeste in Deutschland: Sie sind fest in Frauenhand. Vier Wirtinnen und ihr Erfolgsrezept in einer männerdominierten Rummelwelt.
Mit dem traditionellen Fassanstich im Bayernzelt wird am 14. Oktober 2016 in Bremen wieder die „5. Jahreszeit“ ausgerufen: 17 Tage lang wird auf dem 981. Bremer Freimarkt gefeiert. Ein riesiger Bayer mit Trachtenhut und Lederhose steht dann einmal mehr vor dem Zelt, zwinkert den Besuchern jovial zu und hebt dabei den Maßkrug. Die überlebensgroße Figur des Bajuwaren ist der Blickfang vor dem Bayernzelt. Doch drinnen hat eine Frau das Sagen. Im größten Festzelt auf dem Freimarkt laufen bei Diana Traber alle Fäden zusammen. So wie auch in den anderen großen Zelten auf dem Freimarkt. Eine Besonderheiten, denn die meisten Zeltbetriebe auf großen deutschen Volksfesten wie dem Münchner Oktoberfest, werden von Männern geführt.
Wirtin Diana Traber in ihrem Bayernzelt
Bremen und Bayern – im Fußball steht diese Konstellation nicht gerade für Freundschaft. Auf dem Freimarkt wird dagegen gern und großflächig bayrisch gefeiert. „Mich wundert das nicht“, sagt Diana Traber und schmunzelt. „Schließlich werden ja mittlerweile auf der ganzen Welt Oktoberfeste gefeiert. Bier wird eben überall gern getrunken. Und Frauen im Dirndl sehen ja nicht nur in Bayern gut aus.“
Die 35-Jährige und ihr Mann kommen aus Düsseldorf. 2.500 Menschen finden im Bayernzelt Platz, das pro Jahr im Schnitt auf acht Volksfesten in Deutschland und Luxemburg gastiert. Diana Trabers Team umfasst mehr als 160 Mitarbeiter. „Ein gutes Fingerspitzengefühl ist in diesem Job ganz wichtig“, sagt sie. Wenn Behördenmitarbeiter bei der Bauabnahme mit kritisch-prüfendem Blick durch das Zelt streifen, wenn Mitarbeiter einen schlechten Tag haben oder Betrunkene laut werden, dann ist der Festwirtin vor allem eines wichtig: Ruhe bewahren und den richtigen Tonfall finden. „Ich glaube, das fällt uns Schaustellerinnen oft etwas leichter als vielen unserer männlichen Kollegen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Wir Frauen machen das mit einem freundlichen Lächeln. Das kommt einfach charmanter rüber.“
„Ich musste mir erst einmal Respekt verschaffen“
Freimarktbesucher folgen beim Rummel-Bummel oft liebgewordenen Gewohnheiten. Bratwurst, Schmalzkuchen, Eis, ja sogar Tombola-Lose werden von vielen Stammkunden jedes Jahr an denselben Ständen gekauft. Zahlreiche Traditionsbetriebe sind schon seit Jahren auf dem Freimarkt und seiner kleinen Schwester, der Osterwiese, an den immer gleichen Standorten zu finden. Dass der Bremer auch beim Feiern zu festen Gewohnheiten neigt, hat Natalie Weinert, die Betreiberin des Riverboats, beobachtet. 30 Jahre lang stand das Festzelt, das einem Mississippi-Dampfer nachempfunden ist, auf demselben Platz. Als die Marktverwaltung dem Zelt einmal einen anderen Standort zuwies, brachte das viele Besucher aus dem Konzept: „Viele Stammgäste schauten erst spät am Abend noch kurz vorbei“, erinnert sich die Schaustellerin aus Wardenburg bei Oldenburg. „Sie hatten uns auf dem Rundweg zu spät entdeckt und waren vorher schon woanders eingekehrt.“
Früher erklang im Riverboat vor allem Jazz und Dixie. Heute setzt Natalie Weinert auf Bands, die bekannte Partyhits spielen, um so auch jüngere Besucher ansprechen. Wie alle Zeltbetreiberinnen auf dem Freimarkt stammt sie aus einer traditionsreichen Schaustellerfamilie.
Noch immer würden die meisten großen Jahrmarktsgeschäfte von Männern betrieben. „Als ich das Geschäft von meinem Vater übernommen habe, musste ich mir als Frau bei manchen langgedienten Mitarbeitern erst einmal Respekt verschaffen“, erzählt die 50-Jährige, die zuvor in der Hotelbranche gearbeitet hat. „Die skeptischen Blicke verschwanden aber, als Mitarbeiter gemerkt haben, dass ich mich nicht nur in der Gastronomie auskenne, sondern auch bei Fahrzeugpannen schon mal selbst zum Werkzeug greife.“
Freimarkt als gesellschaftliches Ereignis
Seit rund einem Vierteljahrhundert fungiert das Hansezelt als maritimes Pendant zum Bayernzelt. Chefin Trudi Renoldi achtet bereits seit einigen Jahren darauf, dass in den Security-Teams im Zelt auch Frauen mit von der Partie sind. „Bei Streitigkeiten wirkt es deeskalierend, wenn eine Frau dabei ist“, sagt die Bremerin. Ihr Sohn Klaus, der ansonsten mit der Indoor-Achterbahn Höllenblitz unterwegs ist, koordiniert den Auf- und Abbau des Zelts. Im Zeltinneren aber ist Trudi Renoldi der Boss. „Gastronomie liegt mir einfach“, sagt die 64-jährige Wirtin. „Ich mag es, die Leute ein bisschen zu bemuttern. Und als Chefin eines Teams mit vielen jungen Leuten fühlt man sich selbst auch jünger.“
Zahlreiche Gastronomie-Stände gruppieren sich im Hansezelt zu einer Art Marktplatz. Die blaue Zeltdecke darüber wirkt wie ein Sternenhimmel. Viele Schlagerstars sind hier im Laufe der Jahre aufgetreten, darunter auch Andrea Berg, deren großer Karrieredurchbruch seinerzeit noch bevor stand. „Die hatte damals noch ihren Vater als Manager mit dabei“, erinnert sich Trudi Renoldi. Besonders gern denkt die 64-Jährige an einen Auftritt von Heino zurück, der damals noch nicht mit Rocksongs, sondern mit seinem klassischen Repertoire unterwegs war. „Der hat die Leute regelrecht verzaubert.“ Solche Momente sind ihr die liebsten. „Freimarkt ist für viele Menschen ja auch ein gesellschaftliches Ereignis. Da geht man nicht nur mit der Familie hin, sondern auch mit Kollegen und Vereinsfreunden.“
Der Wunsch, zu feiern und ein paar unbeschwerte Stunden zu verbringen sei auch in unsicheren Zeiten groß. „Was sich verändert hat, ist der technische Aufwand. Wir haben heute eine deutlich aufwändigere Lichttechnik mit Beamern und LED-Scheinwerfern.“
Après-Ski-Gaudi in der Almhütte
Egal, ob Helene Fischer oder Andreas Gabalier: Schlager und auch volkstümliche Musik in moderner Verpackung haben in den vergangenen Jahren auch unter jüngeren Leuten immer mehr Fans gefunden. Nina Renoldi, Tochter von Hansezelt-Chefin Trudi Renoldi und Betreiberin der Almhütte auf dem Freimarkt, freut sich darüber. „Die besten Songs sind immer die, bei denen alle mitsingen können – egal, ob Jung oder Alt“, sagt die 38-Jährige. Vor zwölf Jahren hat sich die leidenschaftliche Skifahrerin entschlossen, die alpenländische Après-Ski-Gaudi auf deutsche Volksfeste zu bringen. Das Konzept ging auf. Heute ist Nina Renoldi in Spitzenzeiten mit bis zu drei Almhütten gleichzeitig auf verschiedenen Volksfesten vertreten.
„In meinem Job ist es wichtig, viele Dinge gleichzeitig im Blick zu behalten. Die Wünsche der Gäste, aber auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter. Empathie zu zeigen ist mir wichtig. Wir haben viele Stammgäste, und auch viele langjährige Mitarbeiter – und beides soll natürlich so bleiben“, sagt Nina Renoldi. Der Freimarkt ist für die Bremer Schaustellerin jedes Jahr ein Heimspiel. „„In diesem Jahr sind wir mit vier Generationen auf dem Platz vertreten: Mein Bruder reist mit seinen Kindern an. Meine Mutter kommt mit dem Hansezelt und meine 92-jährige Oma, die in Bremen lebt, schaut mittags zum Essen vorbei.“
Familienzusammenhalt werde unter Schaustellern ohnehin großgeschrieben. „In unserer Branche hat man ja immer dann besonders viel zu tun, wenn die meisten Leute frei haben. Das schweißt zusammen.“ Und nach dem Freimarkt wartet schon der Weihnachtsmarkt. „Erst wenn der letzte Glühweinstand vom Weihnachtsmarkt abgebaut ist, können wir durchatmen und schlafen dann am Heiligabend meistens hundemüde unterm Tannenbaum ein.“
Text: Thomas Joppig
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